Über Ellen Hantsch

Zur Malerei von Ellen Hantsch

Das Porträt und das Selbstportrait gehören zu den ältesten und beliebtesten Sujets der Malerei bis in die jüngsten Produktionen der Gegenwartskunst hinein. Von Leonardos Mona Lisa bis zu den Serigraphien aus Warhols Factory, der die internationale Hautevolee ins druckfrische Bild der Pop Art setzte, findet sich das menschliche Antlitz in zahlreichen Deklinationen unter den Ikonen der Kunstgeschichte. Ob als Auftragswerk der Bourgeoisie oder Bespiegelung einer selbstreflexiven Innerlichkeit, lassen sich im (Selbst-)Portrait neben psychologischen Aspekten meist auch Hinweise auf die gesellschaftliche Verfasstheit und den Zeitgeist des kulturellen und historischen Kontextes ausmachen. In eben dieser reichhaltigen Tradition sind Ellen Hantsch’ Arbeiten zu verorten, die das Porträt zum zentralen Topos ihrer künstlerischen Erkundungen macht.

Den kreativen Nukleus ihrer Arbeit umschreibt die Künstlerin mit dem Begriff des „weichen Blickes“. Dieser zeigt an, unter welcher konzeptuellen Prämisse sie sich selbst und ihren Modellen begegnet: Die Malerin versucht von einer zentralen, rein visuellen Perspektive auf ihr Gegenüber abzusehen und stattdessen eine Wahrnehmung über die Peripherie zu aktivieren, die dem Menschen als energetisches Wesen auf die Spur kommen und sich nicht lediglich in physiognomischen Details ergehen will.

Im offenen Blick-Kontakt mit ihrem Modell erkennt Ellen Hantsch die Einladung, dessen seelischen Schwingungen nachzuspüren und diese künstlerisch auf ihre Essenz hin zu verdichten. Der Porträtierte wird als vielstimmige, körperlich-geistige Einheit wahrgenommen, zu der sie eine authentische Verbindung sucht. Ihre Arbeiten sind nicht das Ergebnis eines formalen Kalküls, sondern die Spur einer spirituellen Besinnung, die als malerisches Residuum in den Bildern ihren Niederschlag findet.

Der psychologisch aufgeladene Realismus eines Lucian Freud, der gleichsam mit schonungslosem Blick in seine Modelle einzudringen scheint, die delikate Pinselführung einer Alice Neel, die ihren Porträts eine magische Präsenz einschreibt, der okkulte, feminin konnotierte Modernismus Hilma af Klints, sowie Marina Abramovićs immersive Performances sind für Ellen Hantsch Quellen der Inspiration, die ihre Arbeit begleiten.

Sowohl das eigene Antlitz, als auch das ihrer Modelle, bieten das Spielfeld für eine forcierte Chromatik, die sich in lockerem Duktus über die Leinwand legt und geeignet ist, die Menschen auf ungesehene Weise zu charakterisieren. Den reduziert dargestellten Gesichtszügen eignet bisweilen eine Indifferenz, an der sich die umso deutlicher hervortretende Farbigkeit der Bilder steigert. Diese kann gleichsam eine surreale Phantastik motivieren oder sich zum trommelnden Crescendo einer Kriegsbemalung verdichten und eröffnet eine Palette von zärtlichem Pastell bis zu kraftvollen Rot-Grün-Kontrasten.

Das Gros der Arbeiten hingegen bringt eine Peinture zwischen Violett- und Purpurtönen in Stellung und ergänzt diese um ultramarine bis azurblaue Valeurs, die ein metaphysisches Streben anklingen lassen, wie es der Kunst der Romantik eignet. Ganz allgemein gesprochen zeigt Ellen Hantsch’ Malerei eine geistig durchwirkte Beseeltheit, die in den Augen der Porträts ihren Kristallisationspunkt findet. Es gehört zu den wesentlichen Glückserfahrungen im Atelier, so weiß die Künstlerin zu berichten, dass sie manchmal überrascht den Eindruck gewinnen darf, nicht sie malte ihre Bilder, sondern diese sich vielmehr selbst.

Jens Bülskämper

 

Im Spiegel von
Bewusstsein und Unterbewusstsein,
von Abbild und Urbild

Wer auf die Werke von Ellen Hantsch trifft, ahnt, dass dahinter eine Malerin steht, die sich intensiv mit dem Wesenskern des menschlichen Daseins auseinandersetzt. Für ihre farbintensiven Porträts ist die Ruhe eines Ateliers weniger Inspirationsquell, als vielmehr die sich aus ihrer Biographie ergebenen facettenreichen Begegnungen mit Menschen und Kulturen, die ihren Blick geschärft haben und aus denen sie eine auf das Wesentliche fokussierte und eigene Bildsprache entwickelt hat.

Stehen in der traditionellen Porträtmalerei vor allem die gesellschaftliche Verfasstheit und zeitgenössische Ästhetik im Vordergrund, so beschäftigt sich Ellen Hantsch in ihrer Malerei mit universellen inneren Formkräften des menschlichen Antlitzes. Die teils abstrakten Ausformungen ihrer Porträts sind das Ergebnis der von innen her wirkenden Kraft, die sie mit ihrer Malerei in eine umspannende Sprache übersetzt und damit das Unterbewusste in das Bewusstsein des Betrachtenden rückt.

Die künstlerische Herangehensweise von Ellen Hantsch erinnert zuweilen an skulpturale Gestaltungsprozesse der Bildhauerei, bei der über den schichtweisen Materialabtrag das Eigentliche erst sichtbar wird. Damit sie das Wesentliche auf Malgrund festhalten kann, müssen zunächst die Äußerlichkeiten des zu Porträtierenden Schicht für Schicht „abgeschält“ werden. Für diesen Prozess lässt sie die Modelle gerne in ihr eigenes Spiegelbild schauen, denn der ausdauernde „Blick in den Spiegel“ verändert die Selbstwahrnehmung. Persönliche Idealbilder verblassen zunehmend, so dass in der Reflexion mehr und mehr die tieferliegende Identität wahrnehmbar wird. In einer sich herausbildenden Übereinstimmung von Eigenbild und Spiegelbild kann schließlich der „Archetyp“ des Porträtierten sichtbar werden.

Für die visuelle malerische Umsetzung setzt Ellen Hantsch mehr als nur ihr Wissen von Komposition und Ordnung ein: Menschenkenntnis, Offenheit und der Blick für das Wesentliche sind die Voraussetzungen, die zur Ausformung ihrer expressionistischen Porträts führen. In diesem Sinne entstehen ihre Bilder nicht aus einer spontanen Idee heraus, die malerische Umsetzung ist das Ergebnis einer sorgsamen Betrachtung des Individuums und seines Umraumes, bei der das Wissen der Malerin über mythologische und philosophische Impulse einfließt. Neben sorgsam ausgewählten farblichen Variationen und gezielt reflektierenden Oberflächen finden sich auf dem Bildgrund teils mystische Symbole, Fabelwesen, Embryonal-Formen, Energiequellen, Auren und Verzierungen, ikonografische und initiatische Momente, in denen sich eine kulturübergreifende Symbolsprache widerspiegelt. Durch den Rückbezug auf Mythen und Sagen findet dadurch auf metaphysischer Ebene eine Verschmelzung von Mythologie und Zeitgenossenschaft statt. Die Herangehensweise von Ellen Hantsch gleicht hierbei einem forschenden Prozess, der auf der Bildebene – neben den phänotypischen Merkmalen – insbesondere die methodologisch weniger leicht erfassbaren geheimnisvollen und unsichtbaren Orte des Menschen untersucht und sichtbar machen will.

Den Werken von Ellen Hantsch ist gemeinsam, dass sie einen zeitgleichen Zustand von innen und außen beschreiben. Dadurch ist man als Betrachtender immer an zwei Orten gleichzeitig, wobei die Annäherung an diese Orte auf verschiedene Art und Weise erfolgt. Bei der Werkreihe „Essenz“ liegt der Schwerpunkt auf der Erforschung der vielfältigen inneren Ausdrucksformen. Für die Malerin bildet hierbei der Ausdruck der Augen ein bedeutendes Merkmal, bei dem die Pupille zum Eintrittsportal zur Innerlichkeit wird, in der wiederum ein momentaner Zustand des Porträtierten beschrieben wird.

Die Werke der Reihe „Bardo“ binden die Porträtierten in einen initiatischen Moment ein. Der farbige, teils glänzende und symbolhafte Umraum der Figuren kann als außerexistenzieller Zwischenraum verstanden werden, der den Porträtierten den Übergang in eine für ihn bestimmte verborgene Welt eröffnet.

Die Werke stellen vor allem Menschen aus dem persönlichen Umfeld der Malerin dar. Es lassen sich aber auch Ähnlichkeiten zu Personen der Zeitgeschichte erkennen. Diese Analogien sind gewollt, aber nicht Ziel des Malprozesses. Das Wiedererkennen von Bekanntem soll zum einen darauf Bezug nehmen, dass sich universelle und gestalterische Kräfte in allen gesellschaftlichen Bereichen finden, und zum anderen eine zeitgenössische Momentaufnahme spiegeln, in der sich durch die Sichtbarwerdung des inneren Wesens das Bedürfnis nach Authentizität und Glaubwürdigkeit erfüllt.

Mit ihren Porträts kommt Ellen Hantsch der Substanz des Menschen sehr nah. In dieser Nähe und Offenheit verbirgt sich auch eine Verletzlichkeit. Die Malerin zeigt, dass wir uns vor dieser Verletzlichkeit nicht fürchten müssen, weil sie gleichzeitig auch die treibende Kraft des Wesens offenbart. Denn der Impuls, der aus ihren Bildern spricht, ist, dass unser abstraktes inneres Erscheinungsbild zuweilen realer ist als das, was man für gewöhnlich äußerlich wahrnimmt.

 

Dr. Michael Böttcher